Mungo bei Manga Bell Kamerun VII 1901 – General Müller – Kreaning, G.
2019
Installation
Kunsthaus Dahlem, Berlin
Die Installation Manga Bell entstand im Rahmen der Ausstellung Inspiration Afrika – Ein Kontinent im Blick der deutschen Bildhauerei des 20. Jahrhunderts im Kunsthaus Dahlem.
Innerhalb einer raumbezogenen Holzkonstruktion wurde u. a. der Nachbau eines Elefantenschädels präsentiert, der als wissenschaftliche Trophäe seit dem Kaiserreich im Keller des Naturkundemuseums in Berlin lagert.
Die 1901 von einem Museumsarchivar verfasste, Titel gebende Signatur auf dem Original Tierschädel, wurde zum Ausgangspunkt der Installation. Thematisch bezieht sie sich auf die Zeit, als Kamerun, Herkunftsland des Elefantenschädels, deutsche Kolonie war.
Winfried Bullinger´s 2012 begonnene, fortlaufende Fotoserie "An den Rändern der Macht" ist Teil der Installation.
Pressetext: Anna Lena Wenzel
Die Installation »Manga Bell«, die Tina Born im Kontext der Ausstellung Inspiration Afrika - Ein Kontinent im Blick der deutschen Bildhauerei im 20. Jahrhundert realisiert, nimmt einen Elefantenschädel, der seit 1901 zusammen mit unzähligen weiteren Präparaten im Keller des Berliner Museums für Naturkunde lagert, zum Ausgangspunkt für einen Rückblick auf das dunkle Kapitel des deutschen Kolonialismus in Afrika. Eine bei der Archivierung aufgebrachte Aufschrift auf dem Tierschädel, der als detailgetreuer Nachbau in die Installation integriert wurde, regte die Künstlerin zu einer losen Folge von assoziativen Objekten und geschichtsbezogenen Betrachtungen an, die Bezüge zur kolonialen Geschichte herstellt. Dabei stellen sich Fragen nach Vereinnahmung und Abgrenzung, nach tradierten Wahrnehmungsgewohnheiten des Fremden und zu Kontextverschiebungen von Objekten und Artefakten im musealen Umfeld.
Im Keller des Museums für Naturkunde in Berlin lagern seit über 100 Jahren etwa 80 Elefantenschädel, die zusammen mit unzähligen anderen Objekten aus der damals jungen deutschen Kolonie Kamerun nach Berlin verschifft wurden, um das von Kaiser Wilhelm II. 1898 eröffnete Museum für Naturkunde zu bestücken. Einer der Schädel trägt die Kennziffer 18728, dazu eine handschriftlich verfasste Notiz: »Mungo bei Manga Bell, Kamerun VII 1901 – General Müller – Kreaning, G.«. Mit der Abkürzung »G.« werden die Geber des Präparats benannt, dazu gibt die Aufschrift Auskunft über den Ort, an dem der ausgewachsene Elefant im Juli 1901 erlegt wurde. Da kein Ort namens Manga Bell am Fluss Mungo in Kamerun bekannt ist, scheint die Aufschrift auf das Königshaus des Volkes der Duala zu verwiesen. Bekanntester Spross dieses Hauses war Rudolf Duala Manga Bell (1873–1914), König der Duala, der, nachdem er politisch und juristisch viele Jahre gegen Rechtsverletzungen der deutschen Kolonialmacht angekämpft hatte, 1914 wegen des fadenscheinigen Vorwurfs des Hochverrats in Kameruns ehemaliger Hauptstadt Duala von der deutschen Kolonialverwaltung hingerichtet wurde.
Im Kontext der aktuellen Werkschau »Inspiration Afrika« ließ Tina Born den Tierschädel mit der Kennung 18728 von der Keramikkünstlerin Beatrice Jugert in weißem Ton originalgetreu rekonstruieren. Auf einer schwarzen Transportkiste präsentiert, ist er Ausgangspunkt der Installation »Manga Bell« von 2019, welche die Künstlerin auf der Galerie der Haupthalle zeigt. Der unprätentiös und realistisch nachgebildete Schädel markiert einen Bruch mit dem häufig naiven, exotisierenden und idealisierenden Blick deutscher Bildhauer/innen aus den Jahren von 1892 bis 1966, deren Werke im Erdgeschoss des Ausstellungshauses zu sehen sind. Wirft der Schädel, der durchaus als eine autonome bildhauerische Arbeit verstanden werden könnte, die Frage auf, ob und wie sich die Lesart einer Plastik durch den Verweis auf einen realen historischen Hintergrund ändert, so unterwandert das großformatige Bastobjekt, das über die Galeriebrüstung hinaushängt, auf andere Weise tradierte Wahrnehmungsge- wohnheiten. Von der Künstlerin in sorgfältiger Handarbeit hergestellt, erinnert dieses Objekt, eine Art Spitzhut mit langen Fransen, an spirituelle Kultgegenstände in ethnologischen Sammlungen, die zwar noch in ihrer exotischen Rätselhaftigkeit die Sehnsucht nach dem Fremden beflügeln, aber in der musealen Präsentation ihres ursprünglichen Sinns und Zwecks beraubt wurden.
Während sich in Tina Borns Arbeiten sowohl ein zeitgenössisch-künstlerischer Umgang mit historischem Erbe, als auch eine kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen, mitunter widersprüchlichen Lesarten von Objekten, Artefakten und Kunstwerken manifestiert, verweisen die in die Installation integrierten Fotografien auf die konkrete Gegenwart und Zukunft des afrikanischen Kontinent. Aus der Serie »An den Rändern der Macht« von Winfried Bullinger wählte Tina Born die Ganzkörperporträts einer Frau und eines Mannes aus, die aus unterschiedlichen Regionen Afrikas stammen. Winfried Bullinger, der seit über 30 Jahren regelmäßig entlegene Gebiete in Afrika bereist, fotografiert mit einer analogen Großbildkamera seit 2008 Menschen, die nomadischen oder halbnomadischen Volksgruppen angehören oder aber auf der Flucht sind. Seine Bilder dokumentieren das sich wandelnde Alltagsleben vor dem Hintergrund von Klimawandel, Sesshaftigkeitsprogrammen und kriegerische Konflikten.
Die einzelnen Objekte der Installation »Manga Bell« verbindet Tina Born durch ein modulares System aus schwarz gestrichenen Holzleisten, das der strengen, aus Horizontalen und Senkrechten bestehenden Architektur des Ausstellungsorts folgt. Die Konstruktion erlaubt es, unterschiedliche künstlerische Medien und Denkansätze miteinander zu verbinden und öffnet Raum für assoziative Verknüpfungen.
Ausstellung unter Mitwirkung von Winfried Bullinger und Beatrice Jugert (Sculpture Club)